Cui bono und quo vadis PA&T?
außerdem :
Exportschlager? - Normung - Prozessintegration - Datenflut - Prozesssicherheit
Standortbestimmung und Selbstfindung
- PA&T hat ein schlechtes Image: teuer, kompliziertes Zeug -
- Und : wie erklärt man PA&T dem Anwender? -
- technische Flexibilität und zwischenmenschliche Kommunikation ist gefragt -
Tutzing-Symposium 2014 - Nun, das hat dieses Symposium erreicht - Menschen und technischen Sachverstand zusammen zubringen in diesen drei Tagen am Starnberger See. Doch wurde die Teilnehmerliste eindeutig beherrscht von den Vertretern der Hersteller und Hochschulen (rund sechzig).
Die Seite der Anwender, für die der gesamte Aufwand betrieben wird, trug mit nur wenigen Teilnehmern zwar gerade in den Workshops Wesentliches zur inhaltlichen Ergebnissen bei, doch ist diese Situation auch ein Beleg für die scheinbare und oft auch reale Komplexität der Prozessanalysen~technik.
Wie erklärt der Hersteller dem Enduser was PA&T ist,
wie PAT funktioniert und letztlich welche Vorteile er hätte?
Mit anderen Worten : Braucht die Prozessanalytik ein Marketing?
Ein anregendes Beispiel für beides, die Markt~ und die Marketingmöglicheiten, bot der Beitrag der
KWS Saat AG (Dipl.-Chem. Elke Hilscher).
Zunächst sind für Anwender wie die KWS Saatgut AG die eigenen, verbesserten Marktmöglichkeiten im Wettbewerb der entscheidende Vorteil - und dieser ist die Zeitersparnis durch die kürzeren Selektktionszeiten infolge des Einsatzes von NIRS--Technik direkt auf der Erntemaschine. Gesamtkostenreduzierungen in der Größenordnung von 45% sind ein überzeugendes Argument für den Einsatz der PA&T-NIRS.
Interessanterweise erhielten die Zuhörer in diesem Beitrag jedoch auch und gerade hier einen Eindruck über den zeitlichen sowie technologischen Verlauf der Einführung der PA&Technologie in die Struktur der KWS Saatgut AG.
Es dauerte einige Jahre, bis die manuelle Probennahme, der Transport ins Labor und die Laboranalytik durch eine mobile PA&T ersetzt werden konnte. Überzeugendes Argument war dann doch schließlich die gezeigte Zuverlässigkeit des eingesetzten NIRS-Systems.
Zuverlässigkeit ist notwendige Voraussetzung für den Erfolg der
verwendeten Analysentechnologie - also auch der PA&T
(Nicht verschwiegen werden soll an dieser Stelle, dass die Kalibrierung des NIR-Spektrometers immer noch nasschemisch erfolgt.)
Auch zur Sprache kamen in der anschließenden Diskussion die sechs Themen, die den Einsatz von PA&T in den industriellen Prozessen z.Zt. praktisch und intellektuell be~hindern und sogar öfter ver~hindern.
Nutzerfreundlichkeit |
Performance |
Komplexität |
Zeitaufwand |
fachliche Vor~Bildung |
Fach-/Hochschulen |
Und diesen Themen muss sich die PA&T widmen, was dann auch in fast allen Wortbeiträgen in Tutzing der Fall war. Allerdings, und das ist die Crux der PA&T, ohne konkrete Antworten - bis auf die Fach- Hochschulen, für die ein jetzt neues Ausbildungskonzept (Master-Studiengang PA&T Management) von der HS Reutlingen vorliegt.
Die Vorteile beim Einsatz von PA&T - Einsparung von Energie, Personal, Zeit und Kosten, bessere Qualitätssicherung, höhere Effizienz - sind genügend bekannt.
Die Diskussionen in diesen Tagen in Tutzing konzentrierten sich daher auf die sechs Schwerpunkte, die den technologischen und marktpolitischen Stellenwert der PA&T begrenzen.
Im Beitrag wurde deutlich, dass der Einsatz von Prozessanalytik viel Überzeugungsarbeit verlangt und viel Geduld.
Mitarbeiter und Vorgesetzte müssen in kleinen Schritten an die neuen Technologien und Arbeitsweisen herangeführt werden -
Marketing für die PA&T ist Pflicht!
Exportschlager PA&T? war eine der Fragestellungen in Tutzing. Nun, auch hier ist das Beispiel der KWS Saatgut AG ernüchternd mit gerade 45 Analysensystemen weltweit. Und die anderen Züchter? Einige wenige Wettbewerber haben die NIR-Technologie übernommen mit noch unbekannten Ergebnissen.
Übrigens hierzu passend zwei Bemerkungen von Seminarteilnehmern :
- Der tradionelle 20 mA-Markt ist immer noch führend
- Im internationalen Wettbewerb wird für Deutschland nur der Export komplexer Systeme erfolgreich sein
Für die weitere Zukunft (so in zwanzig Jahren) ist die PA&T möglicherweise eine der Grundvoraussetzungen zur Ernährung der ständig wachsenden Weltbevölkerung, 11 Milliarden werden heute schon genannt. So kann die PA&T einen bedeutenden Beitrag zur Nutzung der heute schon nur begrenzt zur Verfügung stehenden Biomasse leisten. Ein Aktuelles aufgreifende Idee ist der Hinweis auf den möglichen Einsatz von Drohnen zur zumindest physikalischen Kontrolle von Feldern.
Realer sind dann doch die Beiträge von U.Kaiser (Endress+Hauser) und von M. Hajduk (Evonik Industries). Ihre Überlegungen führen zu diesen Erkenntnissen :
- Prozessanalytik wird heute da eingesetzt, wo sie
einen direkten betriebswirtschaftlichen Vorteil bietet und äußerst kurze Amortisierungszeiten
garantiert.
- Viel mehr Chancen werden sich jedoch eröffnen, wenn Prozessanalytik zu einem Teil
der Unternehmenskultur wird.
- PA&T ermöglicht neue Produktionsverfahren mit hoher Produktqualität, wenn die so ermittelten Stoffinformationen zu entsprechenden Produktionsvorschriften führen.
- Die Nutzerfreundlichkeit, wie plug-in and play, muss deutlich erhöht werden.
- Der PAT-Einsatz wird nur bei 'Feueralarm' eingesetzt, also wenn's bei der Qualität oder den Kosten 'brennt'.
- In den Betrieben ist kaum Zeit für die Anwendung neuer Verfahren.
- In den Betrieben fehlt es an mit PA&T vertrautem Personal.
Das Reizthema Normung ließ dannn die Ansichten etwas kontroverser werden, wobei es sachlich Gründe für und gegen einheitliche Regeln gibt. So schwwankte denn auch die Stimmung im Konferenzsaal zwischen dem Für - Normung ist doch im Wesentlichen eine Planungshilfe - und dem Gegen - Normung ist eine Kreativitätsbremse. Der Wunsch mancher Anwender nach standardisierten Gerätelösungen ist bei der zwangsläufigen Vielfalt der Prozessanforderungen einfach nicht realistisch. Es wird momentan bei den jetzt vorhandenen Regelungen aus anderen technischen Bereichen bleiben.
Ein selbst hervor gerufenes Dilemma ist die modellbasierte Prozessführung und die Datenflut. Einserseits ist die Erstere nur mithilfe der von der PA&T in großer Anzahl gelieferten Daten überhaupt anwendbar (eventuell), andererseits ist die Bewältigung der Datenflut zwar technisch machbar, doch wie können die Daten in das für die Algorithmen benötigte Format gebracht werden (Marcus Soemers)? Zumindest Hinweise auf Lösungsansätze wurden in den Beiträgen von Rudibert King, S. Engell sowie Marcus Soemers gegeben.
Wenn über die PA&T als Zukunftstechnologie diskutiert wird, sollte das Thema Aus- und Weiterbildung ganz vorne stehen. Woher soll das Personal zum Betreiben der komplexen Systeme kommen? Wer kann die Wartung, den kontinierlichen Service ausführen?
Das Tuitzing-Symposium bringt die klare und eindeutige Aussage zur Notwendigkeit einer Basis-Ausbildung sowie deren Weiterentwicklung, auch schon um in der Jetztzeit die Bedeutung der Prozessanalytik als Kern-know-how der deutschen Prozessindustrie zu sichern.
Das Weiterbildungsprogramm des AK Prozessanalytik startet im Jahr 2011, der Masterstudiengang Process Analysis & Technology – Management mit diesem Wintersemester in Reutlingen.
Ist damit nun der Nachwuchs gesichert? Zumindest wurden in der Diskussion zwei (fast Glaubens~)Richtungen erkennbar. Die eine bevorzugt die Heranführung des Bacholers an die Prozessanalytik im laufenden Betrieb, die andere setzt auf den akademischen Weg. Wahrscheinlich braucht man beides.
|